Samstag, 21. Juli 2012

Freiheit im fremden Land


Bodrum, Turkey

Meine Finger gleiten über die Tastatur meines Macbooks, während mich der quälende Gedanken nun etwas schreiben zu müssen, innerlich bedrückt. Vor mir sehe ich Dunkelheit. Eine Fahrbahn mit roten Lichtern, die von den vorausfahrenden Autos bestrahlt wird. Ich befinde mich im Reisebus und fahre entlang der türkischen Küste an mein nächstes unbekanntes Ziel. Ich weiss nicht, wo und wann ich aussteigen werde. Das ist auch gut so. Ich möchte nämlich das Verborgene herausfordern. Ich möchte mich der Freiheit annähern. Denn nur so könnte ich überrascht werden. Ich habe keine Erwartungen in meinem Urlaub, ich habe nicht einmal eine Vorstellung darüber, wie die heutige Nacht ausgehen könnte.  Ich lasse mich einfach von den Begegnungen, meinen kurzfristigen Wünschen und den Bedingungen gleiten. Ich fühle Erleichterung. Und eine Art Freude. Erleichterung, weil ich mich über nichts sorgen mache und Freude, weil ich weiss, es könnte nur noch besser werden. Besser werden? Besser werden als was? Tja, das ist die Frage. Geht es mir etwa nicht gut? Ich weiss es nicht. Leere. Leere umhüllt mich. Ich suche neue Momente, neue Orte, neue Menschen. Doch gleichzeitig habe ich keine Vorstellung von dem, wie das Neue aussehen könnte oder sollte. Ich erhebe keine Ansprüche. Es soll anders sein. Das reicht mir. Vielleicht ist das wieder eine Art Entdeckungsreise, die ich allwöchentlich durchlebe. Ständig durst nach mehr. Hungrig nach Wissen. Bedürftig nach Veränderungen. Vielleicht ist es auch nur eine Art Protest. Vielleicht möchte ich mich von meinen Anforderungen aus dem Alltag befreien und mich gegen das System wehren, das mir vorschreibt, wann ich welchen Bildungsweg zu gehen habe, welche Rechnung ich zu zahlen habe, welche Kompromisse ich eingehen müsste. Das reicht mir nicht aus. Ich will mehr. Aber das was ich will ist so unkonkret, dass ich es nicht in Worte fassen könnte. Vielleicht gibt es für meinen Gedanken auch einfach kein passendes Wort, weil mein Gedanke zu neu ist? Und vielleicht ist dieser Gedanke einfach neu geboren, weil unsere Zeit, in der wir eben so anders ist? Gestern Nacht bin ich mit meinem Koffer in Cesme angekommen. Mitten in der Nacht. Zwei junge Frauen, schwer bepackt mit zwei Koffern, wenig Geld aber mit viel Neugierde und einem unbeschreiblich großen Mut. Wir schlenderten orientierungslos durch die Strassen, in denen die Cafes, die letzte Runde Efes ausschenkten.  Fremde Blicken trafen uns. Wer könnten diese Frauen sein und wo wollten sie um 03.00h morgens hin? Der Strand war leer und dunkel. Doch das regte uns noch mehr an. Einfach verrückt sein wollten wir. Uns in den Koffer legen und uns mit unseren Kleidungsstücken bedecken. Ob das gefährlich sein könnte, fragte ich mich zwischenzeitlich. Dann rief uns einer zu:,, Hey ihr, wohin geht ihr?“ Oh das klang nach deutsch. Wer war das, fragten wir uns? Wir schauten uns um und sahen einen Mann anfang 40 aus einem der Touristenschiffe herausblicken.  Knackig gebrannte Haut, eine dicke Silberkette und funkelnde Grüne Augen. Ein wenig erinnerte er mich an eine Eidechse mit seinem kleinen Kopf und seiner schmächtigen Figur aber durchaus überdimensionalen Größe.
,,Kommt her, ihr seid doch aus Deutschland“, forderte er uns auf. Meine Freundin, die nur deutsch spricht, war sofort angetan. ,,Juhu, endlich einer der Deutsch spricht.!“

Der heisse Kaffee verbrannte meine Zunge. Ich wusste nicht, ob es richtig war, dass wir nun auf sein Schiff gestiegen waren. Er  war Österreicher türkischer Herkunft. 5 Monate des Jahres verbrachte er in Cesme, um auf seinem Schiff  Touren für Touristen zu organisieren. Interssant klang das. Er versicherte uns, dass wir auf dem Deck schlafen könnte.n Doch angst hatten wir schon. Er könnte während wir schlafen einfach den Hafen verlassen und aufs Meer fahren. Ich lag nun da unter der dunklen Sternenacht auf feuchten Kissen umhüllt mit einer Bettdecke und presste mich ganz nah an meine Freundin. Ein riesen Schiff, sie, ich und ein fremder Mann. In einer Stadt, die wir nicht kennen. 3.30h. Ein stiller Hafen. ,, Meinst du nicht, dass es gefährlich ist, wenn wir hier einfach einschlafen?“, fragte mich meine Freundin. Plötzlich hörten wir Schritte. Es kam von unten und ich sah schon aus der Ferne seine Gestalt. Mit einem versteiften Gang, einem schnellen Tempo kam er auf uns zu. Was wollte er denn nun von uns? Wir hatten doch abgemacht, dass wir hier schlafen würden und er unten in seinem Zimmer bleiben wird. Panik. Wir bekamen Angst. Ich flüsterte: ,,Yasmin,Yasmin, wieso kommt er jetzt hoch zu uns aufs Deck? Sie blieb regungslos. Wir konnten beide unsere Angst spüren. Er kam immer näher an uns heran und sein Gang wurde immer schneller. Plötzlich blieb er vor unserem Schlafplatz stehen, zeigte wie ein verstörter mit dem Finger auf mich und sagte in einem rauen Ton:,, Wenn du dich umziehen möchtest,  dann kannst du das nun in meinem Zimmer tun!“
Mir blieb die Luft weg. Wovon sprach er? Wieso sollte ich mich umziehen? Wir lagen doch bereits unter unseren Decken und wollten schlafen. Ich lehnte ängstlich ab und lächelte dabei so, als ob ich mich darüber freuen würde, dass er an mein Wohlbefinden dachte. Sein starrer Blick schaute mir tief in die Augen und ich war mir sicher, dass es jeden Moment mein Ende sein könnte. Doch eh ich reagieren konnte, drehte er sich ruckartig um und verließ das Deck. Wir lagen noch weitere 20 Sekunden regungslos dar, um erst einmal die Gefahr, die wir zuvor durchlebt haben zu realisieren. Und plötzlich begriff ich, dass wir sehr leichtsinnig waren. Sofort sprangen wir auf, nahmen unsere Koffer und schlichen uns in Richtung Ausgang des Schiffes. Dieser Moment war einer der angsteinflößendsten und vielleicht sogar gefährlichsten Momente in meinem Leben. Denn ich kann nicht in Worten wiedergeben, welch einen geistlosen Blick dieser anfangs noch nett wirkende Mann plötzlich aufwies. Dass er urplötzlich aufs Deck kam, mit dem Finger auf mich zeigte und mir sagte, ich könnte mich in seinem Zimmer umziehen, war einfach verrückt. Ab sofort werde ich vorsichtiger sein. Denn je leichtsinniger ich mit meinem Leben umgehe, umso mehr desrespektiere ich mein eigenes Leben. Zumal ich immer diejenige bin, die am lautesten verkündet, wie sehr wir unser Selbst und unser Dasein schätzen sollten. Ich habe erkannt, dass es natürlich richtig ist an das Gute in einem Menschen zu glauben aber es ist noch besser, sich über die möglichen Gefahren eine Orientierungskarte anzulegen und sich bewusst vor derartigen Momenten zu schützen. Denn jeder Mensch ist veränderlich. Wer im ersten Moment wie ein lang vertrauter Freund wirken kann, könnte im nächsten Moment zu deinem Schicksalsschlag werden.
Der Bus bleibt stehen. Ok, ich denke ich sollte jetzt aussteigen!
,,Entschduldigen Sie, wo sind wir hier?“, frage ich ich den Busfahrer.
,,Madame, wir sind nun in Bodrum!“
Ok, ich freue mich!

Montag, 9. Juli 2012

Mama, du hast so recht- Wir haben die Zeit verändert!




Manchmal wünschte ich, ich könnte zu Lebzeiten meiner Eltern leben. Unbeschwert auf dem Lande, weit entfernt von strömender Zivilisation. Wo das Melken von Kühen und das Backen von Brot auf dem Tagesprogramm stand.  Wo Mann und Frau eins waren und schwere Zeiten als Herausforderung galten, statt als Trennungsgrund. Wo Mutter und Kind gemeinsam Hand in Hand für das Wohlergehen der Familie sorgten. Während Mutter  morgens die Jüngsten zur Schule schickte, machten sich die Ältesten bereits auf den Weg in die Berge. Beim Morgengrauen sammelten sie die Schafe zusammen und durchquerten die Landschaften, die ich nur aus meinen Urlauben kenne. Meine Mutter erzählt mir oft von ihrer Kindheit. Von einer Zeit in der es Glück bedeutete an Wochenenden einen Schokoriegel auf der Zunge zergehen zu lassen. Von einer Zeit in der es Hoffnung war, zur Schule gehen zu können und zu lernen. Von einer Zeit in der es Vertrauen war, für die Familie sorgen zu dürfen und es Liebe war, abends gemeinsam von einem Teller zu essen. Eine Zeit in der die Gemeinschaft alles war. ,,Die Zeiten haben sich geändert, kizim!“, sagt sie mir jedes Mal, wenn sich die Gelegenheit ergibt und ich für einige Zeit gemeinsam mit ihr im Wohnzimmer sitze.
,,Ich vermisse mein Dorf. Ich vermisse den Geruch der Bäume, die Hähne, die uns morgens weckten und die Sommerbrise auf dem Lande, die nach den schweren Wintertagen unsere Gemüter mit Hochgefühl und Freude erfüllten. Ich vermisse den Zusammenhalt einer Familie. Dieses Gefühl werdet ihr nie kennenlernen. Deshalb werdet ihr nie so fühlen wie wir es damals taten.“ Das sagte meine Mutter jedes Mal.
Ich konnte Mutter nie verstehen. Schon wieder schwärmte sie von ihrem Dorf, ihrer Kindheit und der Vergangenheit, die zwar schwere Umstände mit sich brachte, aber umso mehr ihr das Gefühl von Glück nahebrachte. So gut wie es uns heute geht, würde es keinem gehen, sagte ich immer. Wir leben bequem, haben reichlich an Essen, können überall in die weite Welt reisen und haben Zugang zum Internet. Wie schön, dass ich doch heute lebe, protzte ich stolz. Wenn ich dann mal sauer auf meine Mutter war, sagte ich vorwurfsvoll ,,Mama, du bist in einem kleinen Dorf im tiefen Anatolien aufgewachsen, du kannst mich nicht verstehen. Du und ich wir sind zwei Welten!“

Tatsächlich. Zwischen meiner Mutter und mir liegen nicht nur zwei Welten, wahrlich es sind Dimensionen. Und die Zeiten haben sich wirklich geändert.
Ich lebe in einer Zeit, in der Bäume wesentlich grüne Staturen an den Strassen bilden. In einer Zeit, in der Insekten als eklig, statt als Bestandteil des Biotops angehesen werden.
In einer Zeit, in der Vater und Mutter lediglich Erzeuger sind und dafür zu sorgen haben, dass es dem Kind finanziell nicht schlecht geht. In einer Zeit, in der das Kochen als viel zu zeitaufwendig gilt und man lieber schnell in die Dönerbude schlüpft. In einer Zeit, in der Familienessen nur noch zu besonderen Anlässen stattfindet. In einer Zeit, wo man lieber vor dem Fernseher oder dem Laptop sein essen speist, während Vater und Mutter im anderen Zimmer lieblos von der Suppe trinken und sich eigentlich wünschten, dass Kindchen bei Ihnen wäre. Wir leben in einer Zeit, in der Freundschaften anhand der Facebookanfragen berechnet werden. Eine Zeit, in der die Bindung zu gezählten Menschen seinen Verlust verliert und man lieber über das Internet seine Kontakte pflegt. Wir leben in einer Zeit, in der wir selbst wenn wir unsere Freunde treffen, lieber über Smartphones mit Menschen kommunizieren, als dass wir unserem Gegenüber zuhören. Wir leben in einer Zeit, in der wir Festlichkeiten meistens so erfreut feiern, damit wir hinterher bei Facebook über Bilder und Videos vermitteln können, was für einen tollen Tag wir doch hatten. Eine Zeit, in der es mehr darum geht sich zu präsentieren, als in Wirklichkeit sein Glück zu teilen. Wir leben in einer Zeit, in der der Größenwahn den Menschen besiedelt hat. Wir wollen immer mehr, immer schneller und immer intensiver. Wir bekommen nicht genug. Die Auswahl an Möglichkeiten erschwert uns immer mehr die Entscheidungen. Wir könnten überall wohnen, überall arbeiten und mit jedem zusammen sein. Dank Facebook kann sich jeder wie jemand aufführen, der er nicht ist. Dank Facebook können wir in sekundenschnelle neue Kontakte knüpfen. Wenn es mit dem Partner nicht klappt, dann können wir sofort neue Partner kennenlernen.
Wir leben in einer Zeit, in der das Unmögliche nicht mehr vorhanden ist.
Eine Zeit, die uns zu Einzelgängern gemacht hat. Eine Zeit, in der nicht mehr die Gemeinschaft zählt, sondern das Individuum. Die eigenen Belange, die eigenen Wünscheund die eigenen Ziele. UNABHÄNGIG sollen wir sein-am besten finanziell, geistig und emotional. Die Devise lautet- ,,Bestimme selber wer du bist!“
Augenscheinlich eine faire Einstellung. Doch sie ist der Grund, weshalb heute alles so anders, als zu Zeiten meiner Mutter.
Im Zuge unserer Selbstbestimmung distanzieren wir uns immer mehr von unseren Mitmenschen und entwickeln uns zu Egoisten.
Wir verzichten auf unsere Aufgaben in zwischenmenschlichen Beziehungen und fixieren uns immer mehr auf unsere eigenen Interessen. Wenn uns etwas an einem Menschen nicht mehr passt, dann trennen wir uns und glauben einen besseren zu treffen. Schließlich gibt es doch über 7 Milliarden Menschen. Eine Herangehensweise, die immer mehr dazu beiträgt, dass die natürliche Beziehung zwischen Mann und Frau geschwächt wird. Folglich bricht das Prinzip des Familienwesens zusammen. Ein radikales Szenario welches jedoch nachvollziehbar ist. Wenn wir nicht endlich aufhören, ausschließlich an uns selber zu denken, werden wir den natürlichen Kreislauf des Menschen zerstören. Immer mehr  alleinerziehende Mütter, immer mehr psychisch geschädigte Kinder, die ohne familiäre Liebe aufwachsen und immer mehr depressive Menschen, die auf der Suche nach Geborgenheit zusammenfallen. Ich habe angst. Wahrlich ich habe angst vor meiner Zukunft. Werde ich einen Menschen kennenlernen, der mir  zur Seite stehen wird und mich in meiner Existenz ergänzen wird, so wie es zwischen Mann und Frau bestimmt ist? Der Mensch ist nicht dazu berufen einsam zu sein. Der Mensch ist ein Rudeltier und gehört in eine Familie. Wir müssen lernen uns auch mit unseren Fehlern zu lieben. Gewiss, es wird immer einen besseres Partner in jederlei Hinsicht geben, doch es kommt nicht darauf an den Besten zu finden, sondern den, der dich in deinem Leben begleiten und mit dir Kinder zeugen wird. Ich glaube darin liegt die Aufgabe und fürwahr auch das wahre Glück des Menschen. Doch eh man zu dieser Erkenntnis kommt, sind die Jahre bereits an einem vorbei gezogen und man möchte noch so viel verändern.
Jetzt verstehe ich meine Mutter, wenn sie sagte, dass sich die Zeiten geändert hätten und die Gemeinschaft alles ist, was zählt. Wir müssen uns eingestehen, dass wir uns alle gegenseitig brauchen. Jeder von uns ist ein Teil dieses Naturkreislaufs. Genau so wie das Feuer ohne Kohle nicht entflammen könnte, kann eine Frau auch nicht ohne den Mann aufblühen.
Doch es ist nicht die Zeit, die uns verändert hat. Wir sind es, die die Zeit verändert haben.

Gökcen Medik

Montag, 7. Mai 2012

Mein Motivationsschreiben für ein Erasmus Auslandssemester in Istanbul


Wer möchte, kann sich gerne an meinem Motivationsschreiben bedienen. Ich weiss, dass das Schreiben von einer Motivation einem manchmal so allmählich  die Luft rauben kann. Also dann los... Mein Motivationsschreiben habe ich hochgeladen, damit Interessierte sich dadurch inspirieren lassen können.

Küsschen,

Gökcen Medik


Universität Hamburg
Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Fachbereich Sozialwissenschaften
Institut für Politische Wissenschaft              

                                  
                                                    Meine Motivation                                                                 
           für den Studienaufenthalt an der Bogazici Universität

  „Unser Problem wird nicht sein, daß günstige Gelegenheiten für wirklich motivierte Menschen fehlen, sondern daß motivierte Menschen fehlen, die bereit und fähig sind, die Gelegenheiten zu nutzen.“
Buck Rodgers
Bewerbung eingereicht von:
Gökcen Medik
Adresse
22222 Hamburg
Telefon: 0176/ 0000000
Email: mustermann@muster.de

Abgegeben am: 26.01.10

Es wäre für mich von sehr großer Bedeutung im Rahmen des Erasmusprogramms in Istanbul an der Bogazici University zu studieren. Der Gedanke daran, an der besten Universität der Türkei mit Studenten aus aller Welt zu studieren begeistert mich zutiefst und lässt mich herausfordern. Durch das Zusammenkommen mit internationalen Studenten wäre der interkulturelle Dialog gefördert und im Sinne dessen mein mentaler Horizont erweitert. Das sehr professionell etablierte Erasmus-Netzwerk würde mir die Gelegenheit bieten, eine schnelle Orientierung und Anschluss an der Universität zu finden. Ich bin von Grund auf ein liberaler, neugieriger und weltoffener Mensch, der unter keinen Umständen sich diese einmalige Chance für das Studium an der Bogazici University entgehen lassen möchte. Meines Erachtens bietet das Erasmus-Studium die Gelegenheit eigenverantwortlich ins Ausland zu gehen und in einem total neuen Umfeld Selbstdisziplin und Eigeninitiative zu erlernen. Zudem ist das Erasmus-Studium der einzige Weg für mich, um überhaupt einmal das Recht zu bekommen , um an der elitären Bogazici University zu studieren.
In erster Linie interessiere ich mich für die Türkei und ins Besondere für Istanbul,der Weltmetropole, aus politischen Gründen.Seit Jahren wird über den strittigen EU-Beitritt der Türkei diskutiert und ich fühle mich mehr als angsprochen, allerdings wenig in die Materie involviert. Schließlich entschied ich mich Politikwissenschaften zu studieren ,um gegebenenfalls aktuelle Seminare zur EU-Politik bezüglich der Türkei zu belegen.Ich hoffte nun während meines Studiums nähere Hintergründe zu den aktuellen EU-Beitrittsverhandlungen zu erhalten.
Nun erhoffe ich, da die Möglichkeit besteht, endlich der Aufklärung näher zu kommen und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als an der Bogazici University zu studieren, um eben fachspezifische Seminare besuchen zu können.Für mich ist es sehr essentiell über diesen kontroversen EU-Betritt der Türkei meine Bachelorarbeit zu schreiben und um dies realisieren zu können, benötige ich die wissenschaftliche Grundlage, die mir an der Universität Hamburg leider nicht zusteht.Am meisten überzeugt mich die Tatsache, dass die besten Professoren und Experten bezüglich der EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei, an der Bogazici lehren. Dies ist der Grund,weshalb ich unbedingt dort studieren möchte, da diese Lehrkräfte ,in den Seminaren ,mich bestens für meine BA-Arbeit ausrüsten könnten. Nicht nur der EU-Beitritt der Türkei fasziniert mich , es ist auch der stark vorherrschende Kemalismus, der im Zuge der amtierenden islamischorientierten AKP an Position verliert. Der sogenannte Machtkampf zwischen den Kemalisten und der ,,Islamisten" begeistert mich auf Grund der stark vorherrschenden Diskripanzen.
Ich möchte während meines Aufenthaltes in Istanbul die politische Haltung der Gesellschaft kennenlernen und während meines Studiums an der Bogazici University die politischen Eindrücke und Ansichten der türkischen Eliteakademiker erfahren. Meine Beobachtungen aus meinen Urlauben in der Türkei ließen mich zu der Erkenntnis kommen, dass die Türkische Gesellschaft gespalten ist zwischen dem Optimismus der neuen Elite, die sich überwiegend im Süden und im anatolischen Hochland findet, und der eher pessimistischen Haltung der alten, kemalistischen Elite im Westen und entlang der Küsten.
Ich möchte den sagenumwobenen Kampf zwischen der Elite und der Peripherie selber erkunden indem ich Interviews führe, an politischen Demonstrationen teilnehme und Organisationen besuche. Da die Türkei das Heimatland meiner Eltern ist und sie sich seit den 70er Jahren politisch enorm verändert hat, möchte ich die Entwicklung am eigenen Leibe erfahren, indem ich mich vor Ort in Seminaren von Professoren und Experten an der Bogazici University belehren lassen.
Übrigens wäre es für mich ein absolut bedeutender Schritt an der Bogazici University zu studieren, da ich nach meinem Studium beabsichtige in der Türkei zu arbeiten und eine Karriere anzustreben. Bei Bewerbungen um einen Arbeitsplatz wäre es ein hohes Privileg, den akademischen Besuch an der Bogazici University absolviert zu haben, da diese mit Abstand die beste Universität in der Türkei ist.Dies würde mir den Zugang zu renommierten Berufsfeldern ermöglichen.
Ferner bin ich zu tiefst ambitioniert die türkische Sprache hochsprachlich zu erlernen, um entsprechend auch wissenschaftliche Gespräche, mit einem großen Wörter Repertoire führen zu können.Bisher habe ich nur das einfache Türkisch meiner Eltern gelernt, das unter diesen Umständen auch nicht akzentfrei ist. Deshalb traue ich mich oft nicht ,in türkischen Gemeinden oder Kreisen, zu sprechen, da ich mich sprachlich nicht kompetent fühle.
Das Studium in Istanbul soll somit auch meine sprachliche Entwicklung in türkisch fördern.Für mich ist es absolut beachtlich der türkischen Sprache mächtig zu sein, da sie ein Teil meiner Identität ist und ich mich über diese Sprache ausdrücken und mitteilen möchte.Da meine Familie einen türkischen Hintergrund aufweist, hatte Istanbul schon immer einen zentralen Stellenwert in meinem Leben. Aus diesem Grunde ist es für mich undenkbar mit dieser Stadt einen Teil meiner Identität zu verbinden.Darüber hinaus möchte ich im Zuge meiner Identitätskrise, die pluralistisch (deutsch-türkisch) geprägt ist, auf eine Art Entdeckungsreise in die Türkei gehen.Ich verbinde mit dem Studium nicht nur eine wissenschaftliche Entfaltung sondern auch eine emotionale und geistige Vervollkommnung.
Da ich zu Hause von klein auf mit den Werten der türkischen Kultur großgeworden bin und in meinem Alltag allerdings westlich geprägt war, fühle ich eine innere Zerstreuung und Unzufriedenheit. Ich denke es wäre an der Zeit, Distanz zu meinem Eigenheim und meinem Alltag und den damit verbundenen Rollen zu nehmen. Ich bin mir sicher, dass ich in Istanbul, die mir als meine zweite Heimat nahe gebracht worden ist, die befreienden Antworten auf meine Identität bekommen werde.Darüber hinaus, wäre das Erasmus Studium für mich die erste Gelegenheit einmal selbstständig und eigenverantwortlich zu leben, da ich aus einer sehr konservativen und islamisch geprägten Familie stamme, die mir diese Möglichkeit ohne bildungsorientierte Gründe, nicht gewährleisten würde.
Abgesehen davon möchte ich Istanbul, die 2010 als Kulturhauptstadt Europas gewählt wurde, als Einheimischer kennenlernen.Bisher war ich dort immer die Touristin oder die ,,Alamanci", was so viel heisst wie die ,,Deutschländerin".
Mich interessiert die facettenreiche Gesellschaft und ihre kunterbunte Kultur die aus 180 verschiedenen Ethnien besteht .Des Weiteren möchte ich die bedeutende Geschichte Istanbuls kennenlernen , die von Byzantion bis Konstantinopel ,dem Osmanischen Reich bis ins 21. Jahrhundert in die moderne Türkei reicht.Ich möchte Istanbul nicht in zahlreichen Geschichtsbüchern und Touristenführern lesen.Ich möchte Istanbul mit all meinen fünf Sinnen erleben.
Ich wäre mehr als dankbar, wenn ich die Gelegenheit bekommen könnte, an der Bogazici University zu studieren.Für mich wäre es eine besondere Ehre mit hochqualifizierten Professoren und Experten zusammen zu arbeiten und mich von ihren Lehren für meine Bachelorarbeit inspirieren zu lassen.Darüber hinaus möchte ich partout in den Genuss kommen ,mit der Elite der Türkei zu studieren ,um mir hilfreiche Kontakte für meine weitere Karrierelaufbahn in der Türkei zu knüpfen.

Gökcen Medik


Montag, 5. März 2012

Erasmus in Istanbul? Mein Erfahrungsbericht.


Viele meiner Blog-Leser schrieben mich an und waren erst einmal völlig zerrüttet durch meine negativ besetzten Erfahrungen in Istanbul. Eine große Flut an Mails überstürzte meinen Posteingang mit der Frage:,,Hilfe, Erasmus in Istanbul doch nicht?"

So, erst einmal möchte ich verdeutlichen, dass die Erfahrungen, die ich während meines Auslandsaufenthaltes in Istanbul gemacht habe, nicht absolut gültig sind. Denn es sind keine Fakten und Umstände, die JEDEN erwarten. Es sind Erfahrungen, die ich gemacht habe, weil sie sicherlich viel mit MEINER eigenen Persönlichkeit und meiner Wahrnehmung zu tun haben. Ein Sven oder eine Emine, würde vielleicht die Situationen, die ich durchlebt habe, ganz anders meistern und darin totales Glück finden. Was ich verdeutlichen möchte ist, dass die Erfahrungen anderer Menschen, einen niemals davor abhalten sollte, seinen Träumen nachzugehen. ich wäre wirklich traurig und fast schon sauer, wenn man sein Auslandsstudium in Istanbul nur MEINETWEGEN nicht wahrnehmen würde. Ich würde mich wie ein Verbrecher fühlen, denn ich hätte euch die Chance für eine wundervolle oder einfach nur neue Erfahrung genommen.

Viele Erasmus Studenten erleben die schönste Zeit ihres Lebens in Istanbul. Sie bilden mit Studenten aus aller Welt WG´s, Lerngruppen, Veranstaltungen, Partys. Sie erleben die totale Freiheit in einer so goldigen Stadt wie Istanbul. Das muss definitiv erlebt werden.

Ich hatte eine ausgesprochen sehr unglückliche Zeit in Istanbul. Mein Pech war, dass ich an einer Universität fast außerhalb Istanbuls studierte, sprich an der Maltepe Universität. Außerdem gab es an meiner Universität nur 14 Erasmus Studenten. An der Marmara Universität sind es beispielsweise 250 Erasmus Studenten. Wie man entnehmen kann, habe ich einfach am falschen Ort studiert und somit die Verbindung zur Gesellschaft nicht gehabt. Die 14 Erasmus Studenten habe ich zudem NIE WIEDER getroffen, da sie in anderen Fakultäten waren. Das heisst, ich als Gaststudentin war unter den Einheimischen ein Fremdling. Zusätzlich hatte ich das Missglück, dass meine Mitstudenten super ignorant waren. Vielleicht liegt es aber einfach nur an mir. Ich habe im Laufe der Zeit gelernt, nicht mehr die Schuld bei anderen zu suchen. Sondern erst einmal bei mir selbst zu beginnen. Ich hätte theoretisch, auch wenn ich alleine war, über Facebook und co. den Kontakt zu anderen Erasmus Studenten suchen können und in Erasmus Aktivitätsgruppen beitreten können. Habe ich zwar auch, allerdings erst nach 3,5 Monaten. Bis dahin war ich mental schon so erschöpft und verzweifelt, dass mir die Lust an einem Studium in Istanbul einfach komplett vergangen war.

Mein Statement an alle: Bitte glaubt weiterhin an euren Erfolg im Ausland, auch wenn ich die totale Unzufriedenheit erleben musste. Aber das Glück des Menschen liegt meistens einfach nur in der eigenen Hand.
Istanbul wird euch nicht umlegen können, solange ihr an euch glaubt. :)

Ja und wie geht's mir jetzt? Ich bin nach 1. Semester in Istanbul wieder zurück zu Mama, nach Hamburg gekehrt. Ich arbeite bei der ZEIT-Stiftung im Bereich Bildung und ab April geht mein Studium, sprich mein 6. Semester in Hamburg ( Politikwissenschaften) wieder los.  Dann müsste ich Ende 2012 endlich Bachelor-Absolventin sein.

Und ob ich derzeit glücklich bin? Ja und wie. Ich bereue meinen Auslandsaufenthalt in Istanbul nicht einmal. ich bin froh ihn gemacht zu haben, denn Ich habe einfach zu mir selbst gefunden und erfahren, was möchte ich eigentlich und WER BIN ICH?
Ich glaube ich wurde unheimlich erwachsen während dieser Zeit. Zusätzlich ist es eine top Referenz im Lebenslauf und auch wenn ich viel alleine war, habe ich dennoch sehr wertvolle Menschen kennengelernt.
Nicht zuletzt  habe ich meinen Istanbul-Blog eröffnet, welches mir die Möglichkeit bietet, Menschen wie dir, von meinen Erfahrungen zu berichten und gegebenenfalls ihnen weiterzuhelfen. Das hoffe ich jedenfalls.

Ich wünsche Jedem das Beste. Und viel Mut.



Istanbul Inside Part 7 Online :)


Samstag, 25. Februar 2012

Kenan und die Mitfahrgelegenheits-Mafia


Kenan und Ersin im ICE
                                  ,,Im ICE sind wir die Bosse, hier haben wir das Sagen!"


Hamburg, 25.02.12

Wie gewöhnlich pendele ich jeden Samstag nach Berlin, um meinen Freund zu besuchen. Natürlich  züchte ich kein Geld und habe auch nicht großartig reiche Eltern, die mir die Fahrten in diese Stadt allwöchentlich spendieren können. Also entscheide ich mich für Plan B. Die Mitfahrgelegenheit. Auf dem Portal www.mitfahrgelegenheit.de bieten tausende Fahrer täglich Mitfahrgelegenheiten in alle Orte Europas an. Das Verfahren ist simpel. Man wählt die Route, sucht sich die passende Uhrzeit aus und schwupps es erscheinen unzählige Anbieter, die man telefonisch erreichen kann. Und dann fragt man einfach nach einem freien Platz im Auto. Die Fahrt von Hamburg nach Berlin kostet dann durchschnittlich 14 Euro. Mit wem man da mitfährt und ob man überhaupt lebend am Ziel ankommt bleibt natürlich Rätsel. Doch wie man nun aus meinen Zeilen entnehmen kann, ich lebe noch. Und das ist doch schon einmal ein gutes Indiz.
Und dann gibt es noch jene Anbieter, die die Mitfahrgelegenheit über die Deutsche Bahn mit dem Wochenendticket anbieten, bei der sie 4 Personen kostenfrei ans jeweilige Ziel mitnehmen können. Ein verlockendes Angebot. Nicht nur für Familien und Geschäftsmänner. Sondern auch für Ersin und Kenan.

Ersin und Kenan sind zwei Cousins aus Berlin, Kreuzberg. Türkischer Herkunft.  Beide im Alter von 21 Jahren. Sie fahren jeden Samstag insgesamt 8 Routen zwischen Berlin und Hamburg  und verdienen sich dabei dumm und dämlich.  Das machen sie schon seit 2 Jahren. Und verdienen ein monatliches Taschengeld von umgerechnet 1000-1500 Euro pro Person. Auf Kosten der Deutschen Bahn. Und nicht zuletzt auf Kosten der menschlichen Würde. Der menschlichen Würde? Ja genau. Richtig verstanden.

Was auf anhieb dramatisiert klingt, beruht auf wahren Begebenheiten, die ich nicht nur selbst miterleben durfte sondern auch aus einem persönlichen Gespräch mit den beiden Mitgliedern der MFG-Mafia entnehmen durfte.

Es ist wieder ein Samstag und ich suche verzweifelt  auf der Mitfahrgelenheits-Homepage nach einem freien Platz. Eine Fahrt nach Berlin im ICE für nur 15 Euro. Das darf ich mir nicht entgehen lassen. Ich rufe an und erhöre eine raue bis verschlafene Stimme am  Telefon, die mir mit einem gebrochenem Deutsch einen Platz im ICE sichert. Ich solle um 21.00h am Gleis 5, Abschnitt A warten. Dort würde ich einen ,,Alex“ treffen. Mir ist schon mulmig während ich das Rendevouz sichere. Was ich nicht weiss ist, dass ich den Drahtzieher dieser organisierten Mafia am Hörer habe, der die Anrufer an den Gleis steuert. Doch es ist meine letzte Chance pünktlich in Berlin anzukommen, also schenke ich dem Arrangement Vertrauen. Am Gleis 5 Abschnitt A stehen bereits 15 Pendler darunter, Touristen, Studenten, und Personen, die geschäftlich nach Berlin eilen müssen. Alle Sie warten bangend auf  einen gewissen ,,Alex“, der um 21.01h immer noch nicht da ist. Doch um 21.06h fährt der ICE in Richtung Berlin los. Panik löst sich auf.
Die Blicke der bestellten Pendler streifen in alle Richtungen. ,,Wo bleibt denn Alex?“ ,,Sein Handy ist aus!“, ruft ein Anderer.
Ich werde auch schon unruhig und ärgere mich über die Unzuverlässigkeit. Viele der Wartenden sind einfach finanziell nicht so stark, um sich das One-Way Ticket nach Berlin für 70 Euro zu leisten und es ist bereits 21.00h. Also es ist die letzte Möglichkeit pünktlich loszufahren.

 Plötzlich sehe ich zwei junge sogenannte ,,Kanacken“ in Jogginghose und lockerer Kleidung ohne Jacke auf die Gruppe zukommen. Stille überkommt die Wartenden. Ich merke, dass etwas nicht stimmt. Ist einer von Ihnen etwa ,,Alex“? Das kann doch nicht sein. Es ist offensichtlich, dass diese Beiden orientalisch sind. Doch was führen Sie im Schilde?
Die Beiden Jungs stellen sich vor die Gruppe und fragen: ,, Ey ihr, wollt ihr nach Berlin?“  Aufgeregt rufen alle im verzweifelten Ton: , ,JA!“

Einer von Ihnen, der ziemlich sicher erschien und sich später als Kenan erwies, kündigt an: ,,Also wir haben zwei Wochenendtickets, wir können insgesamt 8 Leute mitnehmen. 20 Euro pro Person, wer will mit?!“
Alle 15 Personen stimmen verzweifelt zu und hoffen auf einen Platz.
Nur noch 3 Min bis der ICE losfährt.
Kenan: ,,Ja aber wir haben nur 8 Plätze, wer kommt für 25 Euro mit?“

STOP! Ich kann nicht zusehen? Was geht hier vor? Ich merke, dass die Beiden türkisch sind und spreche sie in meiner Muttersprache an. Ich weiss, dass das immer die beste Variante ist auf kultureller Ebene Vertrauen aufzubauen.

,,Siz napiyorsunuz? Bizi neden kandiriyorsunuz, yaptiginiz yanlis, insanlarin onuruyla oynamayin, neden onlari kullaniyorsunuz? (deutsch: Was macht ihr da? Warum belügt ihr uns? Was ihr macht ist schändlich, Ihr dürft nicht mit der Würde der Menschen spielen, weshalb nutz ihr sie aus?“

Kenan und Ersin sind für einen Moment verunsichert. ,,Sen Türkmüsün?Tamam merak etme, sen bizdensin. Seni zaten götürecez.“ ( deutsch: Bist du Türkin? Ok, mach dir keine Sorgen. Du bist Eine von uns. Dich nehmen wir sowieso mit.)

Ich war baff. Diese beiden Jungen betrieben wortwörtlich Menschenhandel und selektierten nach kulturellem Hintergrund. Weil ich türkisch war, war ich priviligiert und durfte mit. Doch eh ich weiter meine Gedanken sortieren und aussprechen konnte, sortierten sie aus der Menge, die 8 Ausgewählten Personen für 25 Euro Mitnahmegebühr aus. Ich eingeschlossen. Ich konnte mich gegen diese Art von Selektion nicht wehren. Denn ich war auf diesen Platz angewiesen. Genau wie die Anderen 8.

Der ICE war startbereit.

Wie eine Herde aus "Kühen" folgten wir Kenan und Ersin in den Wagon. Die Zurückgebliebenen 7 Personen wurden einfach abserviert. Zwei junge Frauen weinten. Weil sie genau wussten, dass sie Opfer einer organisierten Machenschaft waren. Sie alle hatten nicht genug Geld, um sich die Fahrt zu leisten. Sie konnten nicht mehr bieten. Ich folgte den beiden Jungs und blickte zurück auf die Anderen. Mein Herz tat weh. Ich musste allen Ernstes zusehen, wie ich aus einer Gruppe gleichsam wartenden Menschen herausgepickt wurde. Ich musste mir ansehen, wie Andere auf verbrecherische Art und Weise betrogen und verletzt wurden. Sie waren frustiert und beleidigten Kenan und Ersin.

,,Ihr Verbrecher! Ihr Unmenschen! Wie könnt ihr uns das antun?“ Mitten auf dem Gleis brach ein emotionales Chaos aus.

,,Bitte nehme mich mit! Bitte, ich muss nach Berlin, meine Mutter hat Geburtstag und wartet auf mich!“, flehte ein junges Mädchen weinend Kenan an.

Doch er wies sie ab, blickte ihr nicht ins Gesicht und forderte die 8 Ausgewählten mit einer Handbewegung:,, In diesen Wagon rein mit euch!“

Das Mädchen wollte nicht aufgeben und zog an seinem Arm. Er sagte ihr in einem ernsten Ton: ,,Gib mir 30 Euro und ich werde dich in dem WC verstecken, ohne dass die Schaffner davon etwas mitbekommen!“
Sie wies ab und kehrte weinend zurück. Der ICE fuhr los und ich blickte aus dem Fenster auf die  verbliebenen 7 Personen, die hilflos am Gleis erstarrten. 7 Personen. 7 Schicksale, 7 verletzte Würden.

Ich musste mit diesen Beiden sprechen und erfahren, was hinter dieser ernst zu nehmenden kriminellen Machenschaft steckte? Wie konnte ein Mensch bloß so eiskalt sein? Ich setzte mich zu ihnen und sprach mit ihnen auf türkisch. Ich versuchte auf emotionaler Basis eine Verbindung zu ihnen aufzubauen und ihnen zu verdeutlichen, welch eine "sündenbefallene Tat" es doch im Islam sei. Ich wusste so konnte ich an sie gelangen. Sie vertrauten Sie mir sofort und erzählten mir ihre Geschichte. Ich versprach Ihnen, dass ich unter verdecktem Namen über sie schreiben und sie nicht hintergehen würde. Sie stimmten zu.

                                                        Ersin(21) und Kenan(21). 


Kenan und Ersin sind Teil einer Bande, die auf illegalem Weg, die Deutsche Bahn Jahrestickets besorgten. Sie waren nur die Auftragnehmer, ihres Bosses, der im Dunkeln agiert und die Anrufer zum Treffpunkt lockt. Anschließend werden Kenan und Ersin zum Treffpunkt geschickt um jeweils 4 Personen, sprich 8 Personen mitzunehmen. 8 Routen werden gefahren. Sie beginnen Samstags um 07.00h bis abends um 21.00h.
Die antreffenden Menschen sehen, sie nur als, ,,Hühner“ an, die Pro Kopf 25 Euro Wert sind. Sie müssen am Ende des Tages die bestimmte Summe an Ihren Boss überliefern und bekommen anschließend ihre Provision. Niemand aus Berlin, Niemand aus ihrer Familie weiss von ihrem Geschäft. Sie erklärten mir, dass sie abends manchmal nicht schlafen können, wenn sie zu Hause sind, weil sie es bereuen. Doch während der Arbeitszeit schalteten sie ab. Denn es gehe schließlich um Geld. Um Geld, das sie woanders nicht verdienen könnten. Denn beide haben keinen Schulabschluss und werden so behaupten sie ,,diskriminiert“. ,,Die Deutschen akzeptieren uns sowieso nicht. Was sollen wir tun? Wir haben keine Lust mehr ohne Geld zu leben. Wir sind jetzt erwachsen-Statt, dass wir mit Drogen dealen, arbeiten wir im ICE und verdienen so unser Geld!“, erklärt mir Kenan.

Tja, sie dealen nicht mit Drogen, aber mit Menschen, denke ich mir in dem Moment.

,,Aber du bist Türkin, du bist Eine von uns. Du bist Moslem. Dir würden wir nicht wehtun. Du bist unsere Schwester. Du kannst ab jetzt jeden Samstag mit uns fahren. Aber ruf nicht unseren Boss an, ruf lieber uns an. Dann ist das garantierter. Und von dir nehmen wir nur 15 Euro.Du bist korrekt, Schwester!“, sagt Kenan zum Abschied.

Ich bin durcheinander. Ich weiss nicht, inwiefern ich sie verurteilen soll. Diese beiden Jungen waren gemein und schadeten Menschen. Doch sie waren gut zu mir. Sie hielten zu mir, weil sie mich als ein Teil ihres Selbst sahen. Weil ich türkisch war, weil ich Muslimin war. Aber wieso kommt es überhaupt zu solch einer emotionalen Differenzierung? Werden sie vielleicht wirklich derart ausgeschlossen in ihren Umkreisen, dass sie so gefühlskalt werden konnten? Ich weiss es nicht. Jedenfalls weiss ich folgendes.Sie sind naiv. Sie sind, so denke ich,selber hilflos. Nur Untertanen einer Mafia. Sogenannte Läufer. Ich versuche in diesem Zusammenhang des Verhalten der beiden Jungen nicht zu verharmlosen, sondern lediglich zu verstehen.
Ich frage mich nach diesem Ereignis gibt es überhaupt noch den wahren Täter? Oder sind wir alle einfach nur Opfer des Systems?Opfer der Umstände? Opfer unserer sozio-ökonomischen Hintergründe?


                                          Kenan und Ich während unseres Gespräches im ICE.


Leider konnte ich Kenan und Ersin nicht umstimmen. Sie wollen weiterhin im ICE als ,,Transporter" arbeiten. Solange bis sie ,,eine bessere Perspektive haben."
Wer Ihr Boss ist und woher er die Bahntickets besorgt, durften Sie mir nicht verraten. Zudem bin ich die erste öffentliche Person, der sie ihre Geschichte erzählt haben. Die Deutsche Bahn und die Polizei ist bereits informiert über diese Kriminalität und versucht alle Maßnahmen um gegen ihre Bande vorzugehen. 


Freitag, 20. Januar 2012

Zeiten ändern sich- Abschied aus Istanbul



 Berlin                                                    21.01.2012


Hallo,
ich habe mich sehr lange nicht mehr zu Wort gemeldet und das tut mir auch nicht leid. Denn ich fühlte mich nicht danach. Ich brauchte diese Zeit um Nachzudenken. Ich bin wieder zurück in Deutschland. Danach hatte ich mich ja so lange gesehnt. Ich habe mein Leben in Istanbul aufgegeben. Einfach so. Obwohl ich mir vornahm ein Jahr lang dort zu studieren. Nach 5 Monaten Aufenthalt in Istanbul nahm ich Abschied. Oder besser ich flüchtete. Denn ich verabschiedete mich von Niemandem. Ich kam in der Nacht als Fremder und flüchtete in der Nacht als Phantom. Von einem Tag auf den anderen nahm ich mein Zeugnis, packte meine Koffer und ließ alles zurück. Ich drehte mich nicht einmal um. Selbst im Flugzeug schaute ich nicht aus dem Fenster. Ich hatte nur ein Ziel- Hamburg, mein Zuhause.

Doch wieso war ich so gefühlstot? Wieso verabschiedete ich mich nicht von meinen Mit-Studenten, die mich in letzter Zeit jeden Tag treffen wollten und sich freuten, wenn ich zur Uni kam? 
Wieso verabschiedete ich mich nicht von meinen Professoren, deren Kurse ich besuchte und die mich mit Achtung behandelten? 
Weshalb nahm ich keinen Abschied von dem Bäcker, den ich jeden Morgen begrüßte?
 Und was ist mit dem Dürüm-Verkäufer? Wie oft aß ich von seinen Köstlichkeiten? 
Was war mit all den Menschen, mit denen ich meine Zeit verbrachte? Wieso flüchtete ich von einem auf den anderen Tag wie ein Verbrecher? 
Selbst meine WG-Partnerin, die ich als Fremde empfand, bekam Tränen in den Augen, als ich ihr von meinem plötzlichen Rückflug in die Heimat berichtete. 
Sie wollte mich in die Arme nehmen und Abschied nehmen. Doch ich wollte es nicht zulassen. Ich war so kalt. Doch warum? War ich nicht immer die Jenige gewesen, die ihren Menschen mit Gefühlen entgegenkam?
Was machte mich so eiskalt und gefühlstot? Meine plötzliche Rückkehr ohne ein Wort zu verlieren, ist eine Flucht. Und eine Flucht ist immer dort, wo auch ein Scheitern ist.

 Ich bin gescheitert in Istanbul. Das muss ich nun einsehen. Obwohl ich mein Semester mit brillianten Noten beschmückt habe, bin ich gescheitert. Gescheitert als Mensch. Gescheitert als Bürger. Schon nach 1. Monat Aufenthalt wollte ich weg. Einfach nur raus aus Istanbul. Jeder und alles war ,,anders“ in meinen Augen. Ich wollte mich nicht mehr dieser Herausforderung stellen und verurteilte diese Stadt. Ich erklärte mir selbst, dass ich hier nicht hingehörte. Doch was war eigentlich los mit mir?
 Wieso war jeder und alles schlecht, nur weil sie ,,anders“ waren? War ich nicht immer die Jenige gewesen, die sich selbst als ,,weltoffen“ und ,,tolerant“ feierte? 

Und nun, da ich ein neues Leben, eine neue Gesellschaft und neue Denkstrukturen betrat, war ich alleine. Alleine mit meinen primitiven Gedanken. Ich war feige. Jetzt weiss ich es. Ich war verschlossen. Ich war konservativ. Ich bin der Grund für mein Unglück in Istanbul gewesen- Kein anderer. Denn nun, da ich zurück in Deutschland bin, fühle ich die selbe Leere in mir, wie in Istanbul. Auf der Suche nach der Vollkommenheit pendele ich zwischen Hamburg und Berlin. Doch siehe da, es ändert sich nichts. Das Glück, kann nicht an den Orten liegen, sondern beginnt im Inneren unseres Selbst.

Ich war, so wie ich nun erkenne, im Unreinen mit mir selbst und projizierte meine gesamte Unzufriedenheit auf meine Umgebung. Somit baute ich Wände auf, durch die ich Niemanden mehr an mich heranlassen wollte. Innerhalb dieser Wände lebte ich den Traum von meinem Zuhause und schränkte mich somit komplett ein. Ich weiss nun, dass ich der Grund bin und nichts anderes.

Ich weiss nicht ob ich bereue, doch ich frage mich: ,,Was wäre, wenn?``
Was wäre gewesen, wenn ich noch ein weiteres Semester in Istanbul studiert hätte?
Was wäre, wenn ich offener auf die Menschen zugegangen wäre? 
Was wäre, wenn ich einfach nicht zu viele Erwartungen gehabt hätte?

Doch jetzt ist es zu spät- Ich habe Istanbul aufgegeben und mir selber die Chance auf neues Leben genommen. Ich bin wieder zurück in meinem Heim. Bei meiner Mutter. Ich lebe weiterhin die Routine meines Alltages. Während ich mich selbst immer ein selbstbewusst und eigenständig deklarierte, muss ich mir nun eingestehen, dass ich feige war. Ich hatte Angst. Angst vor dem Neuen. Angst, dass man mich nicht lieben würde, so wie man es Zuhause bei mir tat. Ist das vielleicht die Phase, des Erwachsenwerdens? Ich weiss es nicht. Ich weiss nun, ich fühle anders. Differenzierter.

 Das Leben geht weiter. Zeiten ändern sich. Und vielleicht auch ich.